Pack die Picknickdecke ein

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Stade, 11.07.2015- Die dritte Auflage des familiären "Müssen alle mit"-Festival (MAMF) fand wieder im Bürgerpark Stade statt. Und wieder war bestes Festivalwetter angesagt. So hatten ca. 2000 gut gelaunte Musikfans ihre Picknickdecke, Faltstühle, Kinder und Kaltgetränke mit. Durch das Programm führte Moderator Friedemann Weise. Das Tagesfestival fand wieder auf einem überschaubaren Gelände statt und hat nicht den Hang zur Gigantomie. Das Veranstalterlabel Tapete-Records lockte mit erschwinglichen Preisen und guten Bands.

Der erste Act, das Quintett Rhonda aus Hamburg und Bremen, versetzte die Besucher ab 13:00 Uhr mit ihrem Sixties-Sound in entspannte Festival-Stimmung. Die meisten MAMF-Gäste lagen noch gemütlich im Gras und genossen das sommerliche Wetter. Sängerin Milo Milone mit ihrer außergewöhnlichen Stimme und ihre Jungs Ben Schadow (Gitarre), Jan Fabricius (Bass), Offer Stock (Orgel) und Gunnar Riedel (Drums) konnten voll überzeugen. Die Band gründete sich erst im Mai 2012, doch mit ihrem frischen, retro-orientierten Vintage-Sound zwischen Dusty Springfield, Amy Winehouse und Duffy können sie schon jetzt einen beachtlichen Aufstieg in den deutschen Charts verbuchen und sind auch europaweit bekannt. Die Musiker sind alle keine Unbekannten. Schadow arbeitete bereits mit Kettcar und anderen Bands zusammen, Stock und Riedel spielten bis zum bitteren Ende bei den Trashmonkeys zusammen und Fabricius verdiente sein Geld als Studiomusiker z.B. bei Right Said Fred. "Terrible Lie", "Camera" und "Come With Me" verfügen über einen Ohrwurmfaktor und kamen gut an. Das war nicht immer so. Als norddeutsche Trashrockband hatten sie keinen allzu großen Erfolg. Als sich die Band schließlich auflöste, gründeten drei Fünftel die neue Band Rhonda. Plötzlich interessierte ihre Musik überraschend viele Menschen. Trashrock ist eben weniger beliebt als schöner, altmodischer Soul.

Nach kurzer Umbauphase trat Oliver Gottwald, der Ex-Sänger von Anajo auf. Die Mitglieder von Anajo einigten sich darauf, musikalisch getrennte Wege zu gehen. Während die anderen Bandmitglieder sich nun um ihre Kinder kümmern, hat Gottwald seinen Nachwuchs in Form einer neuen Band geboren, und die heißt sogar wie er. Unterstützt wurde er von Florian Meya am Bass, Marc Frank am Schlagzeug und Samuel Heinecker an den Keyboards. Am Ende setzte sich Gottwald nur mit seiner E-Gitarre auf den Absperrzaun und spielte noch ein Lied. Die Musiker ließen sich es auch nicht nehmen, bei den nachfolgenden Bands zuzusehen. Immer wieder sah man den einen oder anderen Künstler in der Menge, das macht ein familiäres Festival eben aus.

Schrottgrenze aus Peine folgte. Sie feiern 2015 bereits ihr 20-jähriges Platten- Jubiläum. Mittlerweile sind sie in Hamburg ansässig.

Nun wurden die Picknickdecken eingerollt, denn man brauchte Platz zum wilden Tanzen vor der Bühne. Die Energie von Elektropunk der Band Egotronic machte sich im Bürgerpark breit. Bühnenshow als Extremsport und klassischer Abriss beim Publikum. Ein offensichtlich männlicher Fan war so begeistert, das er seine karierte Unterhose auf die Bühne warf. Egotronic Frontmann Torsun bat den Sänger Koljah der nachfolgen Antilopengang auf die Bühne, um ein gemeinsames Lied zu performen und auch Ex-Superpunk Sänger Carsten- Friedrichs hatte seinen Gastauftritt. Im Hintergrund wurde schon das Drumset aus Altmetall der Antilopengang zusammengeschraubt.

Die Antilopen Gang besteht aus den Rappern Danger Dan, Koljah und Panik Panzer. Danger Dan und Panik Panzer sind nicht nur Gang-Brüder sondern leibliche. Im März 2013 nahm sich ihr talentiertester Freestyle-Rapper NMZS das Leben.

 

Lange blieb unklar, ob sie überhaupt weitermachen. Doch die Band kehrte nach einer Auftrittspause auf die Bühne zurück und begeisterte das Stader Publikum mit ihrem energiegeladenen Punk-beeinflussten Zeckenrap. Croudsurfen von Danger Dan und bengalisches Feuer, mächtig was los war während des Auftritts.

Die Gang begegnet existentiellen und politischen Themen mit Ironie und Humor. Die Liveshow der Antilopen Gang war schon immer ein Erlebnis. Der DJ trommelt auf Metallschrott wie alten Melkeimern oder Auspufftöpfen. Ihre Fans drückten ordentlich auf die Like-Buttons bei Facebook und ihre selbstproduzierten Videos wurden bei YouTube zu Clickmonstern, vor allem, wenn es um die aktuelle Single „Beate Zschäpe hört U2“ geht. Eine Anwaltskanzlei ließ die Band schon wegen „übler Nachrede“ abmahnen. Beate Zschäpe hört weiter U2 – und die Stader weiter die Antilopen Gang, die dann noch mit „Fick die Uni“ und „110“ die zwölf Titel ihres Gigs vervollständigten.

Im April 2012 brachten die Berliner Brüder Shaban und Käptn Peng ihr Album „Die Zähmung der Hydra“ heraus. Ohne große Marketingkampagne war die Alternativ-HipHop-Band Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi geboren, zu der sie noch 3 Freunde hinzu holten. Ihre Fangemeinde war bis dahin ausschließlich übers Internet gewachsen und bescherte ihnen trotz wenig medialer Aufmerksamkeit fast durchgehend ausverkaufte Clubs.

Unterschiedlichsten musikalischen Stilen auf ungewöhnlicher Instrumentierung, so kann man das Spektakel auf der Stader Bühne am besten beschreiben. Haushaltsartikeln wie Bürsten, Töpfen, Gabeln, einem Koffer, einer Stahlsäge, Fahrradklingeln und andere Gegenstände kamen zum Einsatz. Der Bassist spielt auf einem alten Kontrabass mit einem aufgeklebten Gehirn, Pappmasken machen aus den Musikern Füchse. Das Käptn Peng alias Robert Gwisdek auch Schauspieler ist, konnte man in seinem Rap-Zwiegespräch mit seiner eigenen Socke erkennen. Seine Eltern sind übriges die Schauspieler Michael Gwisdek und Corinna Harfouch.

Als letztes spielte ab 21:30 Uhr der Headliner Nada Surf das einziges Deutschland-Konzert. Dabei wären die New-Yorker fast nicht erschienen. Nach ihrem letzten Gig in Wien wollten sie mit dem Flieger nach Hamburg. Der Flug wurde gestrichen. Doch sie haben es trotzdem nach Stade geschafft. Matthew Caws, Daniel Lorca und Ira Elliot kennt man seit dem 1996-Hit „Popular”. Mittlerweile sind sie zum Quartett angewachsen – Doug Gillard ist mittlerweile festes Bandmitglied. Nada Surf-Oberhaupt Matthew Caws sieht heutzutage etwas aus wie Steve Martin. Zwanzig Jahre Rock-Biz haben ihre Spuren hinterlassen und ließen das Haupthaar ergrauen. Dennoch versprüht der 44-jährige jugendliche Frische. Der Bassist Daniel Lorca mit seinen Rastazöpfen zündete sich eine Zigarette nach der anderen während des Konzertes an und unterbrach dies nur, um an seinem nordddeutschen Bier zu nippen. „Happy Kid”, „80 Windows”, „Jules and Jim“, „When I was young“ oder „Killians Red“ wurden gespielt. Nach 17 Song verabschiedeten sich die New-Yorker mit „Blankest year“. Wer an diesem Abend noch nicht genug hatte, ging zur Aftershow-Party in den Alten Schlachthof. Und dann bis: Let´s MAMF 2016!