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Leuchtende Tage

von Astrid Ruppert

Inhalt: Wie wird man die Frau, die man sein will? In einer Sommernacht 1906 verlässt die eigenwillige Lisette Winter heimlich ihr Elternhaus: Ihre Liebe gehört dem Modezeichnen und dem jungen Schneider Emile. Im Rheingau, fernab einer konservativen Gesellschaft, wollen sie selbstbestimmt leben. Schon bald ist das Paar bekannt für seine extravagante Reform-Mode. Doch dann bricht der Krieg aus und bringt neue Herausforderungen ... Hundert Jahre später hat auch Lisettes Urenkelin Maya das Gefühl, nicht in ihr Leben zu passen. Sie begibt sich auf Spurensuche in die Vergangenheit. Nach und nach entfaltet sich für Maya die bewegende Geschichte der Frauen ihrer Familie. Fasziniert taucht sie in das unkonventionelle Leben ihrer Urgroßmutter ein.

Rezension: Dieser historische Roman spielt um 1900 im mondänen Wiesbaden. Die Familie Winter hat sich in den höheren Kreisen etabliert, Lisette Winters Vater ist ein großer Baulöwe geworden, Lisettes Mutter Dora, die ihre Herkunft aus einfachen Verhältnissen streng unter Verschluss hält, legt nur Wert auf gesellschaftliches Ansehen und Wohlstand. Ihre Lieblinge sind ihre beiden Söhne, Tochter Lisette ist verträumt und aufmüpfig. Sie schert sich nicht um Konventionen. Sie zeichnet gerne, als Teenager entwirft sie schon eigene Modekreationen. Doch ihre Mutter zwingt ihr ein Korsett auf, sowohl unter ihren Kleidern als auch gesellschaftlich. Lisette verbringt ihre Tage lieber im Garten, auch in der Sommerresidenz der Familie Winter. Gerne sitzt sie auch in der Küche beim Personal, heimlich lernt sie z. B. Brötchen backen.
Die Mutter verzweifelt immer mehr an ihrer rebellischen Tochter, es kommt zum endgültigen Bruch, als Lisette sich nicht nach den Wünschen ihrer Eltern richtet als diese sie mit einem Baron vom Lande verheiraten wollen. Mutter Dora wünscht sich so sehr eine Verbindung mit dem Adel.

Lisettes Herz gehört da schon längst dem Schneider Emile, gemeinsam flüchten sie in der Nacht aus dem bigotten Elternhaus. Sehr interessant und authentisch sind die immer wieder abgebildeten Benimmregeln für junge Töchter, z.B. aus dem Werk „ Der Gute Ton“ erschienen im Jahr 1895. Hier ein Originalzitat: "Die Tochter muss wie ein Frühregen sein… geräuschlos, ohne Ansprüche und voller Segen.“ Heute kann man darüber nur noch schmunzeln, doch ein Regelverstoß zu damaligen Zeiten hatte schwerwiegende Konsequenzen für die unmündigen jungen Damen.
Auch bei Lisette bricht der Kontakt zu ihrer Familie erst einmal komplett ab. Sie und Emile bauen sich eine unkonventionelle Zukunft auf. Trotz zweier Kinder heiraten sie nie. Doch in ihrem neuen Heimatdorf werden sie schnell akzeptiert, schnell erlangen sie einen guten Ruf durch ihre ungewöhnliche Reformmode, ganz ohne die einengenden Korsagen und langen, unbequemen Schleppröcke. Das halbe Dorf arbeitet für das Paar. Hochschwanger wird Lisette mit einem großen Modepreis ausgezeichnet, ein berühmter Modedesigner lädt sie gar nach Paris ein.
Die Urenkelin Maya, die sich auf Spurensuche nach dieser großartigen und unabhängigen Urgroßmutter Lisette macht, lebt unsicher in einer unglücklichen Beziehung. Das Verhältnis zu ihrer Mutter ist nicht wirklich gut, Rettungsanker ist ihre Großmutter. Mayas Auftritte sind etwas blass dargestellt, sehr schade, aber eventuell entwickelt sich das noch in den beiden Folgebänden.
Die beiden Epochen Lisette und Maya waren gut zu erkennen, da beide Frauen im Buchdruck ein eigenes Schriftbild haben. Im Vergleich der beiden Frauencharaktere ist es aber Lisettes Buch.

FAZIT: Rupperts Schreibstil ist ausgezeichnet – geprägt von einer bildhaften und mitreißenden Sprache. Innerhalb der Geschichte verknüpft die Autorin geschickt die Gegenwart mit der Vergangenheit über vier Generationen hinweg.

Ein hervorragend recherchierten Roman und vor allem der historisch korrekten Darstellung der Kaiserzeit und der Entwicklung der aufkeimenden Modeindustrie. Aber auch die Verluste einer ganzen Generation Söhne, Ehemänner und Väter in der verheerenden Schlacht um Verdun im 1.Weltkrieg werden durch die Autorin sehr bildhaft und bewegend geschildert. Zum ersten Mal hat sich Astrid Ruppert für den ersten Teil der Familientrilogie durch Archive gelesen. Etwas, was ihr vorher nicht wirklich behagte, doch es hat sehr zum Gelingen beigetragen, alleine bei den Beschreibungen der großen Roben und der gesellschaftlichen Schichten um 1900. Der zweite Band „Wilde Jahre“ schildert die Geschichte von Paula, Mayas Mutter und Lisettes Enkelin. Sie feiert die wilden 70er Jahre.

 
Gesamtbewertung:

Erscheinungstermin: 21.08.2020 als Taschenbuch
Genre: Familiensaga
Einband: Flexibler Einband
Seitenzahl: 496 Seiten
ISBN: 978-3-423-21842-9

Autorin: Astrid Ruppert, die nach ihrem Literaturstudium lange Zeit als Dramaturgin und Producerin für das Fernsehen arbeitete, fing an zu schreiben, als sie sich während einer unfreiwilligen Auszeit daran erinnerte, dass sie doch eigentlich schon als Kind davon geträumt hat, Schriftstellerin zu werden. Leuchtende Tage ist der fünfte Roman der Autorin Astrid Ruppert. Dieser Roman ist der Beginn einer Trilogie über die Geschichte vierer Generationen von Müttern und Töchtern einer Familie. Astrid Ruppert, selbst Tochter, Mutter und Großmutter, geht hier der Frage nach, welches Band die Frauen einer Familie eigentlich zusammenhält. Wann gibt dieses Band Halt, und wann und wie kann man es lösen? Und wie prägt man selbst diese Beziehungen.

Verlag: dtv Verlag